5. Dezember 2012 5.45 Uhr - Treffpunkt auf dem Flughafen Kloten.
Das Unternehmen „Belgrad“ des Kaders des Swiss Karate Renmei (SKR) wird gestartet. 14 Sportler und drei Funktionäre treffen sich pünktlich beim Check-In Schalter. Die Stimmung ist gut, nach der Meinung des Delegationsleiters und Coaches Beni Stössel reiste das Schweizer Team noch nie so gut vorbereitet an eine ESKA- oder WSKA-Veranstaltung.
Mit Hilfe des Kata-Coaches und Schiedsrichters Dani Brunner und Zoran Ivetic, der als Video-Filmer und Unterstützung der Delegationsleitung nach Belgrad in seine Heimat mitreiste, ist das Check-In schnell und reibungslos abgeschlossen.
Bereits um 8.00 Uhr treffen wir nach einem ruhigen Flug in Serbiens Hauptstadt ein. Auf der Fahrt vom Flughafen und auch später beim Eintreffen im Haupthotel „Serbia“ merken wir schnell, dass hier in Serbien bei weitem nicht alles so exklusiv ist wie bei uns in der Schweiz. Nichts desto trotz beziehen wir unsere Zimmer und haben nun bis um 13.00 Uhr Zeit, uns ein bisschen an unsere neue Heimat für die nächsten fünf Tage zu gewöhnen und uns vom frühen Aufstehen und der Reise zu erholen.
Ab 13.00 Uhr haben wir die Möglichkeit in der zu Fuss erreichbaren Sporthalle ein bisschen zu trainieren. Während sich die Kumiteleute nach individuellem Gusto die Glieder lockerten, galt es für die Kataspezialisten Kurt Wyler (Elite), Lukas Inauen, Dominik Weber und Jan Brändle (Jugend,Junioren und Team) die einzelnen Katas noch einmal wettkampfmässig vorzuzeigen und letzte feine Retouchen vorzunehmen. Die drei Jungs haben während der letzten drei Monate jeden Sonntag zusätzlich trainiert, um ihre Teamkatas zu perfektionieren. Uns war natürlich bewusst, dass der Start bei den Junioren (bis 21 Jahre) sehr schwierig werden würde. Bei der ESKA gibt es bei der Jugend (16 - 18) keine Team-Kata.
Der Mittwoch-Nachmittag stand zur freien Verfügung. Nächster Fixpunkt war um 19.00 Uhr. Zoran hat für uns eine Fahrgelegenheit in ein bekanntes Restaurant auf einem Schiff organisiert. Lokalität, Essen und natürlich auch die traditionelle Live-Musik erfüllten alle unsere Erwartungen. Uns war bald klar, warum uns die meisten Serben durch ihre massige Statur auffielen - solche Essensportionen sind wir uns in der Schweiz nicht gewohnt. Auf jeden Fall hat sich der Abend gelohnt, die Teammitglieder haben sich auf gemütliche Art und Weise besser kennengelernt und somit war ein weiterer Schritt in der Strategie des Coaches auf dem Weg zu einer verschworenen Turniergemeinschaft erfüllt. Ueber den weiteren Verlauf des Abends hatte ich als Coach keinen Ueberblick mehr, es wurde einfach gegenseitig vereinbart, dass alle unter 18-jährigen den Abend im Hotel verbringen sollten.
Der Donnerstag war trainingsfrei und für die individuelle Turniervorbereitung und einen mehr oder weniger gemeinsamen Ausflug in die Stadt Belgrad reserviert. Zoran und ich hatten am Nachmittag das Coach-Meeting zu besuchen und nachher trafen wir meinen alten serbischen Freund und früheren Trainingskollegen Jovan Bogdanovic. Nach über 24 Jahren hat man sich viel zu erzählen, so kam es, dass wir volle neun Stunden zusammen im Hotelrestaurant über frühere Zeiten philosophierten!
Beim Kongress am Freitagmorgen wurden wir über einige Neuigkeiten orientiert und ich hatte die Gelegenheit, unsere Organisation des ESKA Europacups vom 28. – 30. November 2014 in der Saalsporthalle in Zürich zu bestätigen. Natürlich sind wir motiviert, die doch sehr karge Organisation in Belgrad bei Weitem in den Schatten zu stellen.
Freitagnachmittag 14.00 Uhr - das Turnier beginnt mit den Katabewerben der Jugend. Im Einsatz stehen von den Schweizern Jan Brändle, Dominik Weber und Lukas Inauen. Jan und Dominik schlagen sich wacker und bringen meiner Meinung nach ihre Trainingsleistungen aufs Parkett. Trotzdem müssen sich die Beiden darauf beschränken, erste, wertvolle Erfahrungen auf internationaler Ebene gesammelt zu haben.
Lukas hingegen, dieses Jahr das letzte Mal in der Jugend-Kategorie startend hatte grössere Ambitionen. Für seine - meines Erachtens - technisch sehr sauber ausgeführten Katas wurde er aber etwas enttäuschend bewertet. Trotzdem schaffte er es, in den Final der letzten Vier vorzustossen und wurde dort für seine sauber vorgetragene Empi mit der drittbesten Benotung belohnt. Das ist für Lukas ein sehr wertvolles internationales Resultat und verspricht für die Zukunft einiges.
Im Jugend-Kumite rechtfertigten Kevin Graf und Dominik Urban ihre Selektion mit dem Vorstoss in die dritte bzw. in die zweite Runde. Regelmässige drei Trainings pro Woche erscheinen mir hier das einzige Rezept für bessere Resultate auf diesem Niveau.
Bujar Sejdijaj stand nach seiner langen Verletzungspause in allen Turnieren mindestens im Final. Die guten Resultate täuschen bei Bujar aber immer ein bisschen darüber hinweg, dass es in technischer Hinsicht noch sehr viel aufzuholen gilt. Nichts desto trotz kämpfte sich Bujar mit direkten Ippon-Wertungen gegen seine ersten vier Gegner bis in den Halbfinal vor. Da auch die Jugend-Disziplinen im Open-Modus ausgetragen werden, braucht es für die teilweise doch beträchtlich kleineren Wettkämpfern grossen Mut, gegen Bujar zu kämpfen!
Während auch der Halbfinalgegner gegen unsere Shuyukaner-Kampfmaschine kein Rezept fand, musste sich Bujar im Final seinem österreichischen Kontrahenten geschlagen geben. Die körperlichen Voraussetzungen, sein Trainingsfleiss sowie sein Kampfgeist, welchen man nicht erlernen kann, eröffnen Bujar den Weg zu einer Riesen-Karate-Karriere! Die Silbermedaille ist erst der Anfang!
Samstag, 8. Dezember 2012 - Die Junioren sind dran.
Lukas Inauen muss sich nach den Super-Erfolg vom Vortag nochmal für eine gute Kata-Performance motivieren. Trotz seriösem Einwärmen kann er aber nicht mehr ganz an seine Vortagesform anknüpfen und scheidet aus. Ich muss aber auch erwähnen, dass das Leistungsniveau bei den Junioren um einiges höher ist als bei der Jugend. Trotzdem kann Lukas auf seine Leistung an diesem Wochenende stolz sein. Er ist der erste Kata-Medaillen-Gewinner der Schweiz bei der Jugend.
Nun geht der Wettkampf so richtig los. Unsere bereits erfahrenen Kumitekämpfer Michi Stössel, Nikoll Bytyci und Kaan Sentürk brennen auf ihren Einsatz. Ergänzt werden sie durch Florian Hasler, welcher das erste Mal an einem offiziellen internationalen Turnier für die Schweiz startet. Nikoll kommt nicht auf Touren und muss sich von einem deutlich schwächeren Schweden geschlagen geben. Ein super getimter Ushiro-Geri wurde anstatt mit einem Ippon mit einer Strafe bewertet. Da die ESKA keine Trostrunde kennt, war die Einzeldisziplin für Nikoll sehr ärgerlich viel zu früh fertig.
Kaan Sentürk in seiner gewohnt supermotivierten und fokussierten Art gewinnt seine ersten zwei Kämpfe technisch souverän. Mit seiner Postur ist es für Kaan unglaublich schwer, sich gegen die bis zu zwei Köpfen grösseren und über zwanzig Kilo schwereren Gegner durchzusetzen. Endstation war diesmal der letztjährige Silbermedaillengewinner Vladislav Ivanov aus Russland.
Vielleicht ist das nächste Mal eine etwas defensivere Kampfweise erfolgswirksamer? Trotzdem ein Riesenkompliment für Kaans Kampfwille und –mut!
Florian Hasler zeigte bei seinem ersten Auftritt an einem Europacup eine Superleistung! Clever gecoacht von Radovan Simic kämpfte er sich bis in die vierte Runde vor, wo er sich schliesslich dem späteren Finalisten, dem Russen Mkhitar Mkhitaryan geschlagen geben musste. Ein grosses Kompliment an Florian, welcher mit einer manchmal noch etwas weniger hektischen Kampfweise bei weiterhin gutem Trainingseinsatz einmal ein guter Teamkämpfer werden könnte.
Michi Stössel musste nach seinem Frankreichaufenthalt und dem gewonnenen Schweizermeistertitel nicht mehr speziell für dieses Turnier motiviert werden. Er hat taktisch enorme Fortschritte gemacht und vor allem hat er nun die Siegermentalität seiner französischen Trainingspartner im Kopf. Je grösser und schwerer seine Gegner sind, umso mehr Freude bereitet ihm die Kämpferei.
Nach etwas harzigem Beginn gegen einen Dänen, kämpfte er sich in der zweiten Runde gegen einen unterlegenen Ungarn in die richtige Wettkampfstimmung. Nach dem starken Polen Bartosz Gowacki wartete in der vierten Runde der Engländer Joseph Rawcliffe. Dieser hatte zuvor den starken Belgier Jonathan Mulolo in einem packenden Kampf ausgeschaltet. Rawcliffe ist Englands stärkster Fighter und hat den Europacup bereits mehr als einmal gewonnen. Seine Kampfweise erinnert stark an diejenige seines Trainers Frank Brennan. Vor drei Jahren in Mexiko hat Michi bereits einmal gegen den Engländer gekämpft und wurde dort mit einer saftigen Mawashi-Klatsche aus dem Turnier verabschiedet.
Dieses Mal entwickelte sich aber sofort ein knallharter Kampf, welchen Michi schliesslich mit stark blutender Nase aber mit einer unabdingbaren Entschlossenheit mit 2:1 für sich entschied. Unglaubliche Freude - die Stärkenverhältnisse waren wieder ins rechte Licht gerückt!
Im nachfolgenden Halbfinalkampf gegen den letztjährigen Finalisten, den Russen Vladislav Ivanov, vor allem aber im Final gegen den Russen Mkhitar Mkhitaryan wuchs Michi regelrecht über sich hinaus. Mit Ushiro-Geri, Ashibarai und super getimten Kizamis wirbelte er seinen Finalgegner vom Tatami. Als Coach hatte ich das Gefühl, dass er in diesem Kampf jeden Gegner geschlagen hätte. Der Russe wurde am nächsten Tag Sieger bei der Elite!
EUROPACUP-SIEGER BEI DEN JUNIOREN !! MEGA !!
Dieses Ziel hatte auch Angela Rufer vor Augen. Bereits zum zweiten Mal kämpfte sie sich an einem Europacup unter die letzten vier vor. Nach ihrem Schweizermeistertitel hat sie ihre Kampfbewegung etwas abgeändert, fiel aber im Halbfinalkampf gegen die spätere Siegerin, die Dänin Dina Yehoshua Jensen wieder etwas ins alte Schema zurück. Der dritte Platz bedeutet aber ein weiteres internationales Glanzresultat für die Sportschülerin aus Rüti und gibt ihr sicher Motivation für weitere Grosstaten.
Der Sonntag war für die Elite-Wettkämpfer reserviert. Mit Kurt Wyler hatten wir in der Einzelkata einen routinierten Wettkämpfer am Start. In der ersten Runde eliminierte er seinen Kontrahenten mit einer sauber ausgeführten Tekki-Shodan. Die Heian Godan in der zweiten Runde war jedoch mit ein bis zwei technischen Mängeln behaftet, sodass Kurt überraschend früh ausschied. Man muss jedoch berücksichtigen, dass Kurt bis am Samstag einen Gips an der vor ein paar Wochen gebrochenen Hand getragen hat. Sicher ein beachtliches Handicap während der Vorbereitung.
Im Kumite stand mit Radovan Simic nur ein Schweizer Athlet im Einsatz. Nach seinem erfolgreichen Team-Einsatz an der WM in Paris, durfte man sich von ihm doch einige gute Kämpfe erhoffen. Den ersten Kampf gegen einen Dänen entschied er dann auch ohne Probleme für sich. Die Aufgabe in Kampf Nummer zwei war da schon um einiges delikater. Rado stand einem Zweimeterrussen, welcher das Elite-Turnier im letzten Jahr gewonnen hatte gegenüber. Souverän und taktisch klug verhielt sich Radovan während des ganzen Kampfes sehr aktiv und offensiv orientiert, sodass der Russe seine Angriffe nicht richtig aufbauen konnte. Mit zwei sauberen Tsukitechniken konnte Rado diesen Kampf für sich entscheiden und man hatte das Gefühl, der Weg Richtung Halbfinal stünde nun offen.
Der relativ statisch auf der Linie kämpfende Italiener in der dritten Runde hatte da aber offensichtlich etwas dagegen. Mit einer sehr defensiven Kampftaktik brachte er den Kampf gegen Rado, welcher zu wenig Impulse setzen konnte in die Verlängerung. Dort gelang dem Italiener mit einem überraschenden Mae-Geri der entscheidende Punkt. Schade, da wäre mehr dringelegen!
Nachdem wir in den letzten Jahren vor allem in den Teambewerben Erfolge feiern konnten, haben sich dieses Jahr mit vier Podestplätzen die Individualisten durchgesetzt. Meines Wissens war noch nie eine Schweizer Delegation an einer ESKA- oder WSKA-Veranstaltung so erfolgreich.
Schlussendlich möchte ich noch auf die Team-Wettbewerbe eingehen: Nachdem die Schweiz in früheren Jahren mit starken Kata-Teams an den Europa- und Weltcups vertreten war, habe ich mir zum Ziel gesetzt, wieder etwas in diese Richtung zu tun. Nach dem Vize-Meistertitel bei der Jugend dieses Jahr, habe ich mich zusammen mit Jan, Dominik und Lukas entschieden, dass wir auch beim Europacup in Belgrad versuchen werden, eine gute Kata-Performance abzuliefern. Wir haben dafür während drei Monaten sehr hart trainiert und mit dem siebten Rang in Belgrad eine gute Ausgangslage für weitere Erfolge in der Zukunft gelegt. Es gilt auch zu bedenken, dass die Jungs bei den Junioren gestartet sind, obwohl Jan mit seinem 97er Jahrgang noch nicht einmal bei der Jugend startberechtigt gewesen wäre.
Mit dem Jugend-Kumite-Team haben wir dieses Jahr den JKA-Cup gewonnen. Nach dem altersbedingten Aufstieg von Kaan Sentürk zu den Junioren und dem Ausfall von Lukas Inauen, den ich wegen seiner Kata-Finalqualifikation geschont habe, waren wir einfach nicht mehr stark genug, um mit den besten Nationen mitzuhalten.
Unser Junioren-Kumite-Team gilt als Macht in der ESKA- und WSKA-Szene. Während wir die Schweden in der ersten Runde noch nach alter Manier vom Tatami fegten, fehlte uns beim Ausscheiden in der zweiten Runde gegen die Ukraine etwas das nötige Wettkampfglück. Die Auslosung wäre genial gewesen und wir hatten fest mit der Finalteilnahme gerechnet. Aber wer sich im Sport ein bisschen auskennt weiss… und zweitens kommt es anders…Die Niederlage ist nicht tragisch und musste nun einfach mal sein.
Beim Elite-Kumite-Team sind wir nach der kurzfristigen Absage durch Dani Rüegg und dem verletzungsbedingten Ausfall von Nikoll einfach noch nicht ganz so weit, dass wir bereits mit den besten Teams mithalten können. Die Sieger dieser Kategorie waren immerhin wieder wie letztes Jahr die Deutschen mit ihren Europameister-Team. Trotzdem konnten wir in der ersten Runde das EKF-Team der Portugiesen besiegen und mussten uns aber in der zweiten Runde den starken Polen beugen. In zwei Jahren am Europacup in Zürich sind wir dann bereit, den grossen Coup zu landen!
Ein kurzes Resumée zum Schluss. Wir hatten einmal mehr eine Bomben-Teamstimmung und alle Grundlagen waren geschaffen, um diese Glanzresultate zu erzielen. Die abschliessende Sayonara-Party im 18. Stock des Hotels Serbia bildete den krönenden Abschluss eines familiären, sportlich hochstehenden Karatefestes. Wie alle Sportler, Funktionäre und Schiedsrichter nach den harten Gefechten miteinander festeten kann wirklich nur nachvollziehen und estimieren, wer selber dabei gewesen ist!
Ich gratuliere allen Sportlern und Schiedsrichtern für ihre Super-Leistungen und wünsche allen zusammen mit ihren Familien und Freunden wunderschöne Weihnachtstage.
Weiter Bilder findet ihr auf der Webseite der European Shotokan Karate-Do Association ESKA.
Beni Stössel